Auszug mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Ein anderer Botschafter der USA präsentierte im Gespräch mit Generaldirektor Biermann (ebenfalls im Gästehaus am Jenzig) einen Zeitungsausschnitt aus dem "Neuen Deutschland", dem Zentralorgan der SED: "Hier steht, daß Zeiss seinen Plan auf dem Gebiet Forschung und Entwicklung soundsoviel Wochen vorfristig erfüllen will. Wie ist so etwas möglich?" "Nun, ganz einfach," sagte Dr. Biermann, "da müssen die Wissenschaftler und Konstrukteure eben mal jeden Tag ein bißchen länger arbeiten und auch mal am Wochenende ran. Die machen sonst zu Hause ja doch nur dummes Zeug mit ihren Frauen."
Der Ausspruch ist nicht nur typisch für die schnodderige Art Biermanns, sich auszudrücken, sondern belegt auch, wie sehr er von den Mitarbeitern ohne Rücksicht auf das Privatleben das Äußerste abverlangte, um die staatlichen Pläne nicht nur um jeden Preis zu erfüllen, sondern zu überbieten. In seiner Kritik an Leistungen, die ihm dazu nicht genügten, schreckte er auch vor persönlichen Kränkungen nicht zurück. Der Gerechtigkeit halber muß man ihm zubilligen, daß er von sich selbst mindestens ebensoviel an Leistung abverlangte. In seinem Zimmer im Verwaltungshochhaus ging das Licht frühmorgens als erstes an und abends als letztes aus.
Erschienen in:
Hans G. Beck (Hrsg.): Menschen bei Zeiss und Schott. Sammlung des Seniorenclubs Schott Zeiss Jena e.V., Jena 2002.
Bestelldaten und eine Kurzvita von Dietrich Hucke finden Sie hier.