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Aus den Memoiren von D. Hucke: Ein Damoklesschwert

Auszug mit freundlicher Genehmigung des Verlages

Ich hatte auf dem Zeiss-Stand während der Leipziger Messen nicht pausenlos zu tun. Wenn nichts anlag, konnte ich mich für eine Weile abmelden. Mit Erlaubnis meines Abteilungsleiters, des Russischdolmetschers Wilhelm Weih, besuchte ich einen halben Tag die Buchmesse in der Innenstadt, um zu sehen, was es Neues an Fachwörterbüchern gab. Ohne vorherige Angabe eines Ziels besuchte ich alljährlich auch die Stände britischer und amerikanischer Gerätehersteller, um für mich und meine Kollegen Prospekte in englischer Sprache zu ergattern, in denen wir die neueste Fachterminologie über Optik und Gerätebau zu finden hofften. Meist brachte ich auch eine gute Ausbeute mit. Einmal bedauerte man an einem Stand, nach Leipzig keine englischsprachigen Prospekte mitgebracht zu haben, man würde sie mir aber gern zuschicken. Ich brauchte nur meinen Namen und die Anschrift in ein Formular einzutragen. Nach kurzem Zögern tat ich dies und gab die Anschrift des Zeiss-Kombinats und meine Abteilungsbezeichnung an, damit alles über offizielle Kanäle lief. Soviel wußte ich immerhin, daß ich als Privatperson keine Postsendungen von Firmen aus dem Ausland empfangen durfte.

Mehrere Wochen nach der Messe rief mich mein Abteilungsleiter zu sich in sein Zimmer in der Jenaer Dolmetscherbaracke. Er eröffnete mir, es sei ihm gelungen, mich vor Schlimmem zu bewahren. Was war geschehen? Die Sendung mit den Prospekten war bei Zeiss eingetroffen und hatte wochenlang mehrere Leitungsebenen sowie die Sicherheitsorgane beschäftigt. Da hatte es doch jemand, der nicht einmal NSW-Reisekader war (NSW = Nicht-sozialistisches Wirtschaftsgebiet), gewagt, ohne Erlaubnis Kontakt mit westlichen Ständen, noch dazu der Konkurrenz, aufzunehmen und sich fremdsprachiges Material schicken zu lassen! Wochenlang hatte über meinem ahnungslosen Haupt eine dunkle Wolke geschwebt und sich zu einem Damoklesschwert verdichtet, bis es Wilhelm Weih gelang, seine Vorgesetzten von der redlichen Absicht meines Tuns zu überzeugen. Das Damoklesschwert sauste nicht auf mein Haupt hernieder; schließlich landeten die Prospekte sogar in unserer Abteilung, und die Sache war ausgestanden.

Erschienen in:
Hans G. Beck (Hrsg.): Menschen bei Zeiss und Schott. Sammlung des Seniorenclubs Schott Zeiss Jena e.V., Jena 2002.
Bestelldaten und eine Kurzvita von Dietrich Hucke finden Sie hier.


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